So, jetzt wo die Politik trumpisiert wird, können wir endlich mal wieder sagen, was wir denken und können abfahren mit dieser ewigen political correctness. Sozialschmarotzer, Verbrecher, Verhinderer, Wirtschaftsflüchtlinge können beim Namen genannt werden – das Volk will Klarheit und deutsch und deutliche Sprache. Das hat mir diese Woche ein Kommunalpolitiker gesagt – er kommt wohlgemerkt nicht aus der SP. Ich habe ihm dann entgegnet, dass ich nicht glaube, dass die Wahl eines politisch unerfahrenen, zwielichtigen Geschäftsmanns zum US-Präsident Grund ist, sich rassistisch, sexistisch, populistisch und egozentrisch zu verhalten wie er dies getan hat. Und es ist auch kein Grund, Behinderte lächerlich zu machen, Minderheiten zu beschimpfen und Institutionen zu verhöhnen. Wir sind auch keine Amerikaner, wir sind Zürcher, Schweizer und Europäer und das, was ennet dem grossen Teich passiert, hat mit unseren Vorstellungen nichts zu tun. Wir bleiben unseren Überzeugungen und unseren Werthaltungen treu.

Trotzdem beschleicht einem – wenn man ehrlich ist – schon ein mulmiges Gefühl. Wird all dieses gruusige Verhalten, das wir aus der Geschichte zu genüge kennen, nun wieder salonfähig? Sind alle diese Errungenschaften und Werthaltungen wie Respekt, Anstand und Toleranz nicht mehr gefragt? Wird political correctness ein Schimpfwort?

Wenn wir uns etwas umsehen, könnte man meinen, es sei so. In Österreich könnte schon in 10 Tagen ein Mann der FPÖ als Bundespräsident in die Wiener Hofburg ziehen. In Frankreich stehen im nächsten Frühling Präsidentschaftswahlen an und die Diskussion dreht sich nur noch um die Frage, ob ein Konservativer oder Marine Le Pen vom Front National gewählt wird. Vom amtierenden sozialistischen Präsidenten spricht schon fast niemand mehr. Und in Deutschland muss man schon fast froh sein, dass Angela Merkel nochmals zu deiner vierten Amtsdauer antritt und Pegida, AfD, NPD und Konsorten in die Schranken verweist. Die Zeitungen sind voll mit Leitartikel und Analysen. Constantin Seibt vom Tages-Anzeiger hat in diesen Tagen verlauten lassen, dass man – gemeint waren die Linken und die Liberalen – im Sturm den Kopf hoch halten soll.

Ja, Genossinnen und Genossen, den Kopf hoch halten, das ist die Devise, das muss man uns aber eigentlich nicht sagen, dass wissen wir. Was wir aber nicht immer wissen oder was manchmal etwas vergessen geht, ist, dass es auch gute Gründe gibt, den Kopf hoch zu halten, und zwar nicht nur aus Trotz oder unverbesserlichem Optimismus.

Wenn wir die letzten Wahlen im Kanton Aargau oder im Kanton Basel-Stadt anschauen, dann ist dies ein Grund, den Kopf hoch zu halten. Wenn wir sehen, wie schnell, wir das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform 3 zusammengebracht haben, dann ist dies ein Grund den Kopf hoch zu halten. Wenn wir sehen, dass der bürgerlich dominierte Kantonsrat am vergangenen Montag unserem Antrag, dass Asylsuchende arbeiten können dürfen, zugestimmt hat, dann ist dies ein Grund den Kopf hoch zu halten. Und wenn wir sehen, dass die SP Schweiz und die SP Kanton Zürich in den vergangenen zwei Wochen überdurchschnittlich viele Neueintritte verzeichnen konnten und wieder steigende Mitgliederzahlen haben, dann ist auch dies ein Grund, den Kopf hoch zu halten.

Ein weiterer Grund den Kopf hoch zu halten, sind auch unser Staat und unsere Demokratie. Sie sorgen dafür, dass sich alle einbringen können, dass es radikale Strömungen schwer haben und sie sorgen auch dafür, dass jedes Amt irgendwann wieder wechselt und jede Amtsdauer irgendwann wieder zu Ende ist. Wichtig scheint mir dabei zu sein, dass wir nicht vergessen: Dass unser Staat so ist, wie er ist, ist auch unser Verdienst. Und dann unsere Demokratie so ist, wie sie ist, ist auch unser Verdienst.

In den nächsten Monaten geht es darum, unseren Verdienst im Staat und in der Demokratie zu verteidigen. Es geht namentlich um den Erhalt des Sozialstaats und des Service public. Die bürgerliche Mehrheit aus SVP und FDP will sparen, Leistungen abbauen, den Staat verkleinern.

Mit der Unternehmenssteuerreform 3 sollen unter dem fadenscheinigen Titel von Standortförderung dem Bund und vor allem den Kantonen und Gemeinden massiv Steuermittel entzogen werden. Wir werden im Anschluss daran am Podium noch mehr dazu hören. Diese Ausfälle in noch unbekannter Höhe werden zwangsläufig zu einem Abbau des Service public führen. Dass zurzeit niemand genau sagen kann, wie gross die Ausfälle sein werden, stört die SVP und die FDP natürlich nicht. Für sie ist das auch nicht wichtig; sie wollen ja, dass der Staat abbaut. Wir aber wollen dies nicht und werden darum die Vorlage in der Volksabstimmung bekämpfen.

Mit der Leistungsüberprüfung16 werden auch im Kanton Zürich staatliche Angebote zurückgefahren oder auf die Gemeinden verlagert. Parallel dazu sollen im Kanton Zürich nächstes Jahr das Kantonsspital Winterthur und die Integrierte Psychiatrie Winterthur/Unterland zur Privatisierung frei gegeben werden. Auch das wollen wir nicht und werden es in der Volksabstimmung bekämpfen. Hie und da werde ich gefragt, ob dies alles nicht ein Abwehrkampf sei. Dann sage ich ganz offen: Ja, das ist so. Es geht jetzt darum, unsere Errungenschaften und Erfolge zu sichern. Ich bin überzeugt, dass wir durch diesen Abwehrkampf auch wieder in eine offensive Position kommen. Wenn die Leute sehen, dass wir es sind, die uns für ihre Lebensqualität, ihre soziale Sicherheit und ihre Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten kümmern, dann werden wir gestärkt aus diesem Abwehrkampf hervorgehen.

Damit dies gelingt, brauchen wir eine breit aufgestellte Partei, die diskutiert und dann demokratisch Entscheide fällt und Positionen festlegt. Insofern freue ich mich, wenn sich linke und rechte, alte und junge, heterosexuelle und homosexuelle, sozialliberale und andersliberale Parteimitglieder mit und ohne Migrationshintergrund einbringen und die Debatte bereichern. Ich freue mich deshalb, weil alle diese Personen eines gemeinsam haben: Sie sind alle aus eigener Überzeugung der SP beigetreten und machen ihre Vielfalt und ihre Stärke aus. Was wir meines Erachtens aber nicht brauchen, sind Diskussionen über die Frage, ob wir nun etwas mehr oder weniger links sein sollen. Das ist eine müssige Diskussion. Wir müssen das tun, was wir für richtig halten und was unseren Wertvorstellungen entspricht – unabhängig davon, was ein Herr Trump sagt, und ob es nun mehr oder weniger links ist und ob es als Klassenkampf tituliert wird oder nicht. Und was die in den letzten Tagen wieder aufgekommene Flügeldiskussion anbelangt, möchte ich einmal mehr an das Zitat von Helmut Hubacher erinnern: Ein Vogel braucht zwei Flügel zum Fliegen. Genauso braucht die SP zwei Flügel zum Fliegen.

Von daher fordere ich euch auf, liebe Genossinnen und Genossen, verwenden wir nicht zuviel Zeit und Energie mit internen Diskussionen, sondern fokussieren wir auf die inhaltlichen Diskussionen und auf den politischen Gegner. Und der sitzt bekanntlich immer noch rechts. Ich danke euch und wünsche euch ein erfolgreiches Kopfhochhalten in diesen stürmischen Zeiten!


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